blog

Kopiercollagewandbeklebeaktion

Fortführung vom 15.12.

Wir hatten zuletzt einen Ausflug zum Kopierer im ersten Stock gemacht. Dort öffnete ich eine 10 Cent Münzrolle, und verteilte Geld, mit welchem die SuS verschiedenste Körperglieder auf die Scheibe legten und ausdruckten. So wie meistens in dieser Klasse lag es an mir, den Dingen ihren Lauf zu lassen, und das ist manchmal nicht ganz einfach, denn der Kopierer steht vor der Direktion und dem Hauptkonferenzzimmer, und ich war ständig nervös wegen der Lautstärke und Ausbreitung,- beides genuine Stärken von Schulklassen, und dieser einen eben auch. Das ‚Cool bleiben’ zahlte sich aber aus, denn so konnte die für diese Klasse typische Dynamik entstehen, nach welcher begleitet von immer größer werdender Aufregung, aus der einen die nächste Idee entspringt.

Die Schwarzweiss Kopien wurden dann in der Klasse zerschnitten, oder bemalt, es entstanden Collagen, die wir nun am Montag auf einen Grund von Graupapier auf die rückwärtige Wand der Klasse klebten. Diese Aktion war ein Gemisch aus chaotischen und geordneten Elementen. Ich wies an, die Möbel an der Rückwand in die Klasse zu schieben und stattdessen Tische an die Wand zu stellen, damit die SuS auf diesen Tischen besser die Wand bekleben können. So entstand das Bild eines unüberschaubaren Klassenzimmers SuS, die sich bis zur Zimmerdecke streckten, Kästen mit Ficus Benjaminus drauf, die sich frei im Raum verteilten, und SuS, die sich daran vorbei zwängten, M. mit seinem Handy in der Hand, mit dem er alles mit filmt und mich zu den Ereignissen interviewt, E., und S., die kichernd einen Kampf aufführen, die Reste der Röhren als Schwerter oder Keulen verwendend, S. der aus Graupapier und Tixo eine Art Teleskopstange baut, L. der mit seinem gebrochenen Bein im Rollstuh sitzt und einfach ungefragt Englisch lernt, mit I. daneben sitzend, der so wie meistens nur das nötigste tut. Dazu diejenigen, die sich aktiv am Fortschritt des Projekts beteiligen, Klebestreifen zuschneiden und Collagen vervollständigen. Angesichts dieser so unterschiedlichen Umgangsweisen mit der Unterrichtssituation möchte ich einen pädagogischen Gedanken Gilles Deleuze zitieren: “Man weiß niemals im Voraus, wie jemand lernen wird- durch welche Liebschaften man gut in Latein wird, durch welche Begegnungen man Philosoph ist, in welchen Wörterbüchern man denken lernt.” * Dies kann noch ergänzt werden mit: “Jedes Kind, jeder Mensch lernt anders schwimmen, muss etwas anderes tun, um nicht unterzugehen.” **

Es ist wohl eine umstrittene Frage, wie zielgerichtet Lernen gemacht werden kann, und auch, wie zielgerichtet es gemacht werden soll, kann doch über die Bedürfnisse wie über die Anforderungen letztlich nur spekuliert werden. Ich habe mich dazu entschieden, einen gewissen Rahmen zu stecken, in welchem der Lernprozess möglichst offene Formen nehmen sollte. In der Praxis dieses Selbstverständnisses musste ich SuS oft dazu ermahnen, sich nicht auf das Fensterbrett zu setzen, nicht mit der Schere herumzulaufen, das Graupapier nicht schadhaft zu machen, und wurde einmal richtig ärgerlich, als zwei SuS einvernehmlich eine volle Graupapierröhre einander auf die Schultern hauten. Das war einer der wenigen Momente, in welchen alle still wurden und nur mich anschauten, interessiert, weil man mich selten ärgerlich aufgebracht sieht.

* Gilles Deleuze zit. nach Eva Sturm: Von Kunst aus. Kunstvermittlung mit Gilles Deleuze. Turia & Kant, 2011, S.166

**Eva Sturm: Von Kunst aus. Kunstvermittlung mit Gilles Deleuze. Turia & Kant, 2011, S.166