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Das pädagogische Ziel Nr. 1

Es gibt ein kunstpädagogisches Ziel Nr.1, dass allen anderen pädagogischen Zielen zuvorkommt. Dieses Ziel besteht darin, in den SuS den Willen zu entfachen bzw. zu unterstützen, selbstständig neugierig zu werden und selbstständig zu forschen. Nichts ist im schulischen Rahmen wichtiger als dieses Ziel.

Weniger wichtig ist es beispielweise, bestimmte Techniken und Themen abzuarbeiten, damit dem Lehrplan Genüge geleistet wird. Weniger wichtig ist es, SuS unbedingt zu beschäftigen und vor Langeweile zu bewahren. Weniger wichtig ist es, nur solche Projekte in TTW umzusetzen, die Design entsprechen, und nur solche Projekte in BE umzusetzen, die Bildkultur und Kunst entsprechen, um durch die Trennung die Legitimation der Fächer aufrechtzuerhalten. Weniger wichtig ist es, dass SuS eine saubere Mappe führen, auf die sie zum Semesterende penibel geprüft werden. Weniger wichtig ist es, Noten nach Schlampigkeit und Anwesenheit festzulegen. Weniger wichtig ist es, dass die Lehrperson sich in einem Gebiet, dass im Lauf der Forschung ans Tageslicht dringt, kompetent fühlt.

Handeln nach diesen Zielen, die weniger wichtig sind als dieses erste Ziel, überlagern das erste Ziel, verhindern das erste Ziel. Alle diese Ziele verhindern das erste Ziel und machen es zunichte. Pädagog_Innen beobachten folgendes Szenario,- ihre SuS werfen die über viele Einheiten mühsam gebauten Objekte in den Müll oder vergessen, sie mit nach Hause zunehmen. Beim “Nach-Aufräumen” des Werksaals bemerken sie, dass fertige Objekte mit Absicht auf den Boden geworfen wurden, oder sie sehen beim gemeinsamen Verlassen des Schulgebäudes am Abend, wie ihre SuS beim Warten auf den Bus die Objekte vorsätzlich “erledigen”. Handeln SuS so, tragen dafür die Lehrenden zumindest einen Teil der Verantwortung. Es wird darin klar, dass die SuS mit den Objekten keine Selbstwirksamkeitsprozesse erfahren haben, dass sie mit den Objekten keine positiven emotionalen Erinnerungen verknüpfen. Die Lehrenden müssen dafür sorgen, dass in ihrem Unterricht eine Atmosphäre entsteht, in der die SuS den Notendruck ganz vergessen, und in dem entweder ein soziales Interesse entsteht, oder eine Vertiefung in den Prozess entsteht, der nach Joachim Kettel für den spezifischen kunstpädagogischen Anlass Selbstentfremdung genannt wird. Letzterer entsteht, wenn SuS die Möglichkeit geboten wird, ihren privaten Raum im Klassenzimmer mit sich zu tragen, die Lehrperson also nicht ständig mit Erwartungsbündeln am Platz vorbeirauscht. Das beinhaltet auch die Freiheit der Langeweile,- des Nichts Tuns, welches als kleine Krise zu lesen ist, die notwendig ist, um neue Früchte hervorzubringen.

Mit sozialem Interesse meine ich, dass der Unterricht zum Vorwand für soziale Vorgänge werden kann,- ein gutes Ereignis. Denn wenn nichts wichtiger ist, als das Anregen der Neugierde, dann sind auch die fachlichen Rahmenbedingungen zu vernachlässigen, wenn nur in einem gemeinsamen Raum Willensrichtungen artikuliert werden, und sich Interessen formieren. Das ist auch eines der Dinge, die man sich von repräsentativer Kunst erwarten kann, also von alljener Kunst, die etwas abbildet: Durch sie ergibt sich ein Anlass, über bestimmte Weltausschnitte miteinander ins Gespräch zu treten. Dies ist neben der Vertiefung in den Prozess ihr größtes Vermächtnis.